Unerfüllte Mutterschaft

Unerfüllte Mutterschaft? –

Zwischen Wunschvorstellung und Akzeptanz


Melanie | 16.01.2023

TW: Unfruchtbarkeit, Fehlgeburt

Eine von sieben Frauen ist unfruchtbar. Ich entdecke vor drei Jahren zufällig einen Beitrag der Influencerin Anna Wilken auf Instagram, der zu einer Sichtbarkeit dieser Statistik beitragen soll: „[I]n unserer Gesellschaft ist diese Zahl noch nicht wirklich etabliert. Ob man Kinder haben will, wird man gefühlt an der Kasse im Rewe gefragt. Nur, dass es bei vielen nicht ums wollen, sondern ums Können geht - daran denkt kaum einer.“ Unfruchtbarkeit ist ein schmerzvolles Thema, welches selten einen öffentlichen Diskurs in der Gesellschaft erhält. Zu groß ist die Scham. Während mittlerweile zunehmend über Abtreibung und die Selbstbestimmtheit der Schwangeren gesprochen wird, findet unerfüllter Kinderwunsch leider immer noch zu wenig Gehör. 

Ich selbst sehe mich nun seit vier Jahren mit diesem Schmerz konfrontiert, denn ich bin selbst eine von sieben. Ich habe nicht erwartet, mich schon mit 16 Jahren über Themen wie Kinderwunsch und Familiengründung auseinandersetzen zu müssen. 

Doch das Leben hatte einen anderen Plan.

Ich war etwa 16 Jahre alt, ging in die zehnte Klasse und trainierte mit meiner Rock`n`Roll Tanzgruppe für die Deutsche Meisterschaft. Seit mittlerweile fast einem Jahr bekam ich meine Periode sehr unregelmäßig oder gar nicht. Hinzu kamen die Hitzewallungen, die ich während des Schulunterrichts hatte. Ich fächere mir mit meinen Händen zu - es ist nicht mal Sommer, warum ist mir ständig so heiß? Meine Freundinnen fragen mich scherzhaft, ob ich in meinen Wechseljahren sei. Ich lache: „Ja, wahrscheinlich.“ 

Nachdem sich meine Beschwerden nicht verbessert haben, entschied ich mich für einen Termin bei einer Gynäkologin. Angerufen, Termin gemacht, Blutabnahme. Was soll schon sein? Die Ärztin meint, dass sie sich melde, sobald die Ergebnisse da sind. Verpasster Anruf. 

Hört sich die Ärztin auf dem Anrufbeantworter besorgt an? Aber was soll schon sein? 

Tag der Diagnose. Die Gynäkologin ist besorgt, das habe ich mir nicht nur eingeredet. Sie erklärt irgendetwas von einem Hormon, das kaum messbar ist. Sie spricht von einem POF-Syndrom. Primäre Ovarialinsuffizienz. Mir geht im Moment nur noch eine Frage durch den Kopf: „Also kann ich keine Kinder kriegen?“ Ich erhalte ein kurzes und prägnantes Nein. Alles fängt an sich zu drehen, ich schaue meine Mutter an und kann nicht anders als zu schluchzen. Ich befinde mich seit diesem Moment in einer Achterbahnfahrt der Gefühle, aus der ich nicht auszusteigen vermag:

Mit 16 Jahren kam ich in die Menopause. Seit dieser Zeit hatte ich einige Fragen an mich selbst und Fragen, die ich innerhalb kürzester Zeit anderen gegenüber beantworten musste. 

Habe ich einen Kinderwunsch? Kinderwunschzentrum: Möchte ich meine Eizellen einfrieren? Hormontherapie, vielleicht aber auch Eierstockgewebe entnehmen – ein neues Verfahren. WECHSELJAHRE? Habe ich das gerade richtig verstanden? Die Hormontherapie scheitert. Dann halt Eizellenspende, oder auch nicht? Denn ein Eizelltransfer ist in Deutschland verboten. Vielleicht später, in ein paar Jahren. 

„Möchtest du psychologische Unterstützung in Anspruch nehmen?“ – „Nein, passt schon, komm ja gut klar.“ Das ist zumindest das, was ich präsentieren möchte. Ich bin stark, ich brauche keine Hilfe. Drei Jahre später, vielleicht doch das mit dem Eierstockgewebe – nein? Schade, dann nicht. Weinen, Reden, Weinen, Lachen. Ich rede sehr viel darüber. Mit meiner Mutter, mit Freund:innen. Ich will es nicht verschweigen müssen, aber oft fällt es mir leichter, zu schweigen als zu reden. Die Gespräche sind vielseitig und die Reaktionen sind gut, ermutigen mich. Verständnis, Frustration, Mut, Bewunderung, Tränen. Sehr viele Tränen zwischen Funken der Hoffnung. Es gibt gute und weniger gute Momente, aber der Schmerz wird mit den Jahren leichter, wie ich heute feststellen kann.

Der Umgang mit Unfruchtbarkeit scheint mir oftmals wie ein Versuch, etwas Fehlerhaftes aus dem Weg zu räumen. Als wäre es die eigene Schuld, das eigene Versagen einer so natürlichen Sache.

Doch beeinflusst mich die Diagnose in meinem Sein als Frau? Die Antwort müsste Nein lauten, aber auch hier stehen sich Wunsch und Realität leider meist gegenüber.

Schon einige Male habe ich die Warnung erhalten, dass ein unterschiedlicher Stand in Sachen Kinderwunsch eine Beziehung gefährden kann. Ich sollte lieber nicht beim ersten Date mit der Tür ins Haus fallen. Und was Adoption betrifft, müsse ich damit rechnen, dass der Partner, männlich, lieber eigene, biologische Kinder haben möchte. Der Umgang mit Unfruchtbarkeit scheint mir oftmals wie ein Versuch, etwas Fehlerhaftes aus dem Weg zu räumen. Als wäre es die eigene Schuld, das eigene Versagen einer so natürlichen Sache.

Aus diesem Grund entscheide ich mich dafür, mit offenen Karten zu spielen. Ich möchte mich nicht verstecken müssen, weil ich so bin, wie ich bin. Denn mein Wert als Partnerin wird durch die Unfruchtbarkeit nicht gemindert. Kinder oder keine Kinder: Diese Entscheidung sollte in einer Partnerschaft nicht allein getroffen werden. Doch gegenseitiger Respekt und das Verständnis, dass Elternschaft nicht immer einfach so funktioniert und dieser Prozess emotional sehr aufgeladen sein kann, ist von immenser Bedeutung. Fruchtbarkeit ist normal. Aber auch Unfruchtbarkeit ist normal. Abtreibungen, Fehlgeburten und Behinderungen sind normal. Ich möchte eine Sensibilität für den Umgang mit Mutterschaft schaffen und aufzeigen, wie facettenreich diese ablaufen kann. Es ist wichtig, diese sensible Thematik in die Öffentlichkeit zu tragen, denn nur so kann darauf aufmerksam gemacht werden, dass der Druck in unserer Gesellschaft verheerend für Frauen und ihr Selbstbild sein kann. Denn dieser Druck lastet so schwer, dass mir so manches Mal die Luft zum Atmen ausbleibt. Ist es meine Schuld, dass ich nicht funktioniere? Noch immer versuche ich, das verlorene Vertrauen zu meinem Körper wiederherzustellen – es ist ein Prozess.



Anm. d. Redaktion: Genauso, wie manche Menschen sich Kinder wünschen, aber keine haben können, gibt es auch Menschen, die keine Kinder möchten. Welche Probleme gerade FLINTA-Personen dabei allerdings entgegenschlagen, könnt ihr hier nachlesen.

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